Inhalt
In einem kleinen Antiquariat entdeckt Thomas Abbey eine rare Erstausgabe von "Pfirsichschatten", geschrieben
von dem Autor, den er seit seiner frühen Kindheit verehrt. Leider hat Saxony Gardner das Buch
bereits erstanden, geht aber auf sein Kaufangebot ein, wird sogar seine Freundin. Auch sie ist ein großer
Bewunderer Marshall Frances und sie beschließen, eine Auszeit zu nehmen und gemeinsam eine Biographie
dieses geheimnisvollen Einsiedlers zu verfassen. Sie fahren nach Galen, einer kleinen Stadt, in
der Frances die letzen Jahre vor seinem Tod gelebt hat. Doch die Bewohner dort verhalten sich merkwürdig...
Rezension
Das ist das erste Buch, das Carroll geschrieben hat und das zweite, nach "Laute Träume", das ich von ihm
lese. Hier trifft man auf das phantastische Element erst fast am Ende, so dass es beinahe zu vernachlässigen
ist. Dieses Bucht hat Ansätze eines Märchens, eines Dramas, doch ist es weder Fisch noch
Fleisch. Vielleicht war das mein Problem, da die Geschichte ohne 'höheres Ziel' dahinplätschert. Man verstehe
mich nicht falsch, es ist schön zu lesen, da man sich sogleich darin vertiefen kann ohne störende,
verschachtelte Sätze oder komplexe Gedankengänge. Aber obwohl es in der ersten Person erzählt wird,
erfährt man von Thomas im Grunde nichts, als dass er der Sohn eines berühmten Schauspielers ist und
fortwährend unter dessen Schatten lebt. Das ist aber eigentlich genau das, was Thomas immer verhindern will,
dass man ihn nur als 'Sohn von' sieht. Carroll hätte ihm und den anderen Figuren mehr Tiefe verleihen
sollen, zumal Thomas etliche Male seine Freundin Saxony betrügt und kaum einen Hauch von Reue
zeigt. Das hat ihn mir verleidet und auch Anna, das Objekt seiner Begierde, erscheint unnahbar. Einzig
Sax mochte ich noch, obwohl sie wenig Rückgrat zeigt. Sehr schade, da Carroll die Situationen sehr
'naturnah' zu beschreiben versteht und dann nicht mehr als diese flachen Figuren hineinsetzt und einen
sehr behäbigen Plot herumstrickt.
Bisher war ich der Meinung, dies sei nur ein ganz nettes Buch, bin aber begeistert von den Gedanken, die
es anregt. Die Figuren rechtfertigen jedenfalls keine positive Bewertung, da sich Abbeys emotionale
Schwingungsfähigkeit darin erschöpft, eine meterlange Latte in Annas Anwesenheit herumzutragen.
Saxonys Schmerz und ihr Verlust, beides durch seinen Seitensprung ausgelöst, rufen keine Gefühle in
Thomas hervor, er vermisst seine Freundin lediglich. Von Liebe kann da keine Rede sein. Dennoch landet
Carroll mit seinem Buch auf den vorderen Plätzen, da er wenigstens am Schluss den Leser dazu
bringt, über Gott und die Welt nachzudenken, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das ist weit mehr, als
die meisten anderen Bücher tun.
Wer mag, kann sich noch meine (wirren) Gedanken zu dem Buch durchlesen, doch sie enthalten einige
Hinweise auf den 'Clou' der Geschichte, sollten also nicht von denjenigen gelesen werden, die befürchten,
dass ihnen dadurch die Lektüre verleidet wird.
[...] weil sie wissen, dass es für sie kein Danach gibt, haben sie auch keine Angst." "Sie verschwinden
einfach." Das kann ich nicht nachvollziehen, da ich auch nicht an Himmel und Hölle oder an Wiedergeburt
glaube und gerade davor Angst habe, dass ich mich nach meinem Tod einfach auflöse und nichts von mir
übrigbleibt. Meiner Meinung nach liegt der Trost darin, zu wissen, dass es ein Danach gibt und obgleich
die Hölle droht, kann man schließlich beeinflussen, ob man dort endet oder nicht (wenn man daran glaubt).
Das ist doch der Grund, warum sich die Menschen der Religion zuwenden - aus Angst vor dem Unbekannten.
Sicher, Frances ist für die Bewohner Galens auch so eine Art Gott, doch worin liegt der Trost,
zu wissen, wem man all sein Leid zu verdanken hat, wenn man nicht dagegen aufbegehrt? Das ist es,
was ich an den Galenern nicht verstehe: Sie halten still, akzeptieren alles, was Frances ihnen zugedacht
hat (okay, alle bis auf das Mädchen, das nach New York geflohen, aber dort gestorben ist). Wieso verlangt
keiner, dass sein Leben umgeschrieben wird? Ich wäre stinksauer auf Frances, wenn er etwa mein
Kind sterben lassen würde. Diesen Leuten stellt sich doch viel mehr die Frage nach dem 'warum'. Oder
liegt der Unterschied zwischen Galenern und wirklichen Menschen in dem 'wissen' gegenüber dem nur
'glauben'? Aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es beruhigender ist, den Tag seines Todes
zu kennen, als zu denken, es könnte jeden Moment geschehen. Für mich liegt mehr Trost in der Illusion, in
der ich lebe, dass ich sicher noch mindestens 50 Jahre vor mir habe. So kann ich alles viel ruhiger angehen,
ohne diese dunkle Drohung im Hintergrund. Die Galener können zwar nachlesen, was kommen
wird, aber das tun nicht alle. Einige leben also doch in der gleichen Ungewissheit...hm, warum sind diese
dann glücklich?
Was haben die Galener überhaupt von ihrem Leben, wenn sie quasi eingesperrt sind in ihrer kleinen Stadt?
Sie können niemals die Welt bereisen, sind gefangen in Freiheit, wie sie es nennen - jeden Tag selbst
gestalten zu können, ja, aber in sehr eng gesteckten Grenzen. Ist dies nun eine Kritik Carrolls an der Religion,
am Determinismus? Dass alles vor unserer Geburt festgelegt ist? Wäre es dann nicht egal, was
wir tun? Wir könnten schließlich nichts dafür.
Da fällt mir ein: Wieso konnte Frances die "Königin in Öl" totschreiben? Sie war keine seiner Figuren, sondern
ein lebendiger Mensch. Und hätte er sie dann nicht wiederauferstehen lassen können? Und warum
können Anna oder Richard nicht die Biographie verfassen? Weil sie kein Talent haben? Das hat Thomas
auch nicht, wenn man sich einmal die ersten Sätze seines Buches durchliest.
Autor zu sein bedeutet, ein Gott über seine Figuren und die Welt zwischen zwei Buchdeckeln zu sein.
Was passiert, wenn Frances tatsächlich wiederaufersteht, gleichzeitig Gott und Schöpfung; eine Gestalt
von Thomas und Herr über Galen? Kann das gut gehen? Und hätte er sich nicht von vorneherein ein
langes Leben herbeischreiben können? Wer sagt denn, dass er glücklich darüber ist, wiederzukommen?
Auch kann er niemals derselbe Mensch sein, da schließlich vor allem Fakten in der Biographie versammelt
sind...