Autor

Carroll, Jonathan Samuel

Titel

Das Land des Lachens

Originaltitel

The Land of Laughs

Genre

Fantasymärchen

Seiten

243

Erscheinungsjahr

1980

Auszeichnungen

Verfilmungen

Verlag

Suhrkamp

Website des Autors

www.jonathancarroll.com

Wertung

Inhalt

In einem kleinen Antiquariat entdeckt Thomas Abbey eine rare Erstausgabe von "Pfirsichschatten", geschrieben von dem Autor, den er seit seiner frühen Kindheit verehrt. Leider hat Saxony Gardner das Buch bereits erstanden, geht aber auf sein Kaufangebot ein, wird sogar seine Freundin. Auch sie ist ein großer Bewunderer Marshall Frances und sie beschließen, eine Auszeit zu nehmen und gemeinsam eine Biographie dieses geheimnisvollen Einsiedlers zu verfassen. Sie fahren nach Galen, einer kleinen Stadt, in der Frances die letzen Jahre vor seinem Tod gelebt hat. Doch die Bewohner dort verhalten sich merkwürdig...

Rezension

Das ist das erste Buch, das Carroll geschrieben hat und das zweite, nach "Laute Träume", das ich von ihm lese. Hier trifft man auf das phantastische Element erst fast am Ende, so dass es beinahe zu vernachlässigen ist. Dieses Bucht hat Ansätze eines Märchens, eines Dramas, doch ist es weder Fisch noch Fleisch. Vielleicht war das mein Problem, da die Geschichte ohne 'höheres Ziel' dahinplätschert. Man verstehe mich nicht falsch, es ist schön zu lesen, da man sich sogleich darin vertiefen kann ohne störende, verschachtelte Sätze oder komplexe Gedankengänge. Aber obwohl es in der ersten Person erzählt wird, erfährt man von Thomas im Grunde nichts, als dass er der Sohn eines berühmten Schauspielers ist und fortwährend unter dessen Schatten lebt. Das ist aber eigentlich genau das, was Thomas immer verhindern will, dass man ihn nur als 'Sohn von' sieht. Carroll hätte ihm und den anderen Figuren mehr Tiefe verleihen sollen, zumal Thomas etliche Male seine Freundin Saxony betrügt und kaum einen Hauch von Reue zeigt. Das hat ihn mir verleidet und auch Anna, das Objekt seiner Begierde, erscheint unnahbar. Einzig Sax mochte ich noch, obwohl sie wenig Rückgrat zeigt. Sehr schade, da Carroll die Situationen sehr 'naturnah' zu beschreiben versteht und dann nicht mehr als diese flachen Figuren hineinsetzt und einen sehr behäbigen Plot herumstrickt.
Bisher war ich der Meinung, dies sei nur ein ganz nettes Buch, bin aber begeistert von den Gedanken, die es anregt. Die Figuren rechtfertigen jedenfalls keine positive Bewertung, da sich Abbeys emotionale Schwingungsfähigkeit darin erschöpft, eine meterlange Latte in Annas Anwesenheit herumzutragen. Saxonys Schmerz und ihr Verlust, beides durch seinen Seitensprung ausgelöst, rufen keine Gefühle in Thomas hervor, er vermisst seine Freundin lediglich. Von Liebe kann da keine Rede sein. Dennoch landet Carroll mit seinem Buch auf den vorderen Plätzen, da er wenigstens am Schluss den Leser dazu bringt, über Gott und die Welt nachzudenken, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das ist weit mehr, als die meisten anderen Bücher tun.

Wer mag, kann sich noch meine (wirren) Gedanken zu dem Buch durchlesen, doch sie enthalten einige Hinweise auf den 'Clou' der Geschichte, sollten also nicht von denjenigen gelesen werden, die befürchten, dass ihnen dadurch die Lektüre verleidet wird.
[...] weil sie wissen, dass es für sie kein Danach gibt, haben sie auch keine Angst." "Sie verschwinden einfach." Das kann ich nicht nachvollziehen, da ich auch nicht an Himmel und Hölle oder an Wiedergeburt glaube und gerade davor Angst habe, dass ich mich nach meinem Tod einfach auflöse und nichts von mir übrigbleibt. Meiner Meinung nach liegt der Trost darin, zu wissen, dass es ein Danach gibt und obgleich die Hölle droht, kann man schließlich beeinflussen, ob man dort endet oder nicht (wenn man daran glaubt). Das ist doch der Grund, warum sich die Menschen der Religion zuwenden - aus Angst vor dem Unbekannten. Sicher, Frances ist für die Bewohner Galens auch so eine Art Gott, doch worin liegt der Trost, zu wissen, wem man all sein Leid zu verdanken hat, wenn man nicht dagegen aufbegehrt? Das ist es, was ich an den Galenern nicht verstehe: Sie halten still, akzeptieren alles, was Frances ihnen zugedacht hat (okay, alle bis auf das Mädchen, das nach New York geflohen, aber dort gestorben ist). Wieso verlangt keiner, dass sein Leben umgeschrieben wird? Ich wäre stinksauer auf Frances, wenn er etwa mein Kind sterben lassen würde. Diesen Leuten stellt sich doch viel mehr die Frage nach dem 'warum'. Oder liegt der Unterschied zwischen Galenern und wirklichen Menschen in dem 'wissen' gegenüber dem nur 'glauben'? Aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es beruhigender ist, den Tag seines Todes zu kennen, als zu denken, es könnte jeden Moment geschehen. Für mich liegt mehr Trost in der Illusion, in der ich lebe, dass ich sicher noch mindestens 50 Jahre vor mir habe. So kann ich alles viel ruhiger angehen, ohne diese dunkle Drohung im Hintergrund. Die Galener können zwar nachlesen, was kommen wird, aber das tun nicht alle. Einige leben also doch in der gleichen Ungewissheit...hm, warum sind diese dann glücklich?
Was haben die Galener überhaupt von ihrem Leben, wenn sie quasi eingesperrt sind in ihrer kleinen Stadt? Sie können niemals die Welt bereisen, sind gefangen in Freiheit, wie sie es nennen - jeden Tag selbst gestalten zu können, ja, aber in sehr eng gesteckten Grenzen. Ist dies nun eine Kritik Carrolls an der Religion, am Determinismus? Dass alles vor unserer Geburt festgelegt ist? Wäre es dann nicht egal, was wir tun? Wir könnten schließlich nichts dafür.
Da fällt mir ein: Wieso konnte Frances die "Königin in Öl" totschreiben? Sie war keine seiner Figuren, sondern ein lebendiger Mensch. Und hätte er sie dann nicht wiederauferstehen lassen können? Und warum können Anna oder Richard nicht die Biographie verfassen? Weil sie kein Talent haben? Das hat Thomas auch nicht, wenn man sich einmal die ersten Sätze seines Buches durchliest. Autor zu sein bedeutet, ein Gott über seine Figuren und die Welt zwischen zwei Buchdeckeln zu sein. Was passiert, wenn Frances tatsächlich wiederaufersteht, gleichzeitig Gott und Schöpfung; eine Gestalt von Thomas und Herr über Galen? Kann das gut gehen? Und hätte er sich nicht von vorneherein ein langes Leben herbeischreiben können? Wer sagt denn, dass er glücklich darüber ist, wiederzukommen? Auch kann er niemals derselbe Mensch sein, da schließlich vor allem Fakten in der Biographie versammelt sind...