Autor

Mallet-Joris, Françoise

Titel

Die Wachsbildnerin

Originaltitel

Les Larmes

Genre

Historisches

Seiten

428

Erscheinungsjahr

1993

Auszeichnungen

Verfilmungen

Verlag

List (Teil v. Ullstein)

Wertung

Inhalt

Die Halbwaise Catherine Lesueur hat Glück, dass ihr missgünstiger Vater sie nicht mit irgendeinem reichen Widerling vermählt, sondern stattdessen in die Lehre gibt. Allerdings steht es mit dem Ruf des Chevalier Martinelli nicht zum Besten und mehr als Kost und Logis hat das dreizehnjährige Mädchen nicht zu erwarten. Dafür bringt Martinelli ihr bei, Gipsabdrücke von Leichen zu nehmen und anatomisch korrekte Wachsbildnisse zu modellieren...

Rezension

Was mir beinahe augenblicklich ins Auge fiel war die Tatsache, dass Mallet-Joris' Buch fast literarisch zu nennende Qualitäten aufzuweisen hat. Sie beziehungsweise die Protagonistin und Ich-Erzählerin Catherine philosophiert über das harte Los eines Henkers und das Für und Wider ihrer eigenen Arbeit - schließlich waren die Leichenteile, von denen sie Abdrücke nimmt, einmal Menschen. Äußerst ambivalent ist ihr Haltung, mehrmals wechselt sie ihre Meinung, je nachdem, welche Erfahrungen sie mit den betroffenen Personen / mit ihrer Tätigkeit gemacht hat. Dadurch gewinnt das Buch eine Tiefe, die bei einem historischen Schmöker äußerst selten ist.
Sehr schnell wird jedoch deutlich, dass es mit der Handlung nicht weit her ist. Die Sache mit den Umstürzlern und Spionen scheint irgendwie lustlos und wenig durchdacht, obwohl die Autorin augenscheinlich einiges an Hintergrundwissen zusammengetragen hat. Leider präsentiert sich dieser Teil äußerst wirr, es gibt ein Gewusel an Namen, mit denen man als Leser absolut nichts verbindet. Wer sind all diese Leute? Was juckt es mich, wenn ein Prinz entführt oder gar ermordet wird? Man bleibt völlig außen vor und fragt sich, warum man überhaupt etwas von der damaligen Politik lesen muss. Sie erscheint sehr weit weg, als hätte sie nichts mit den Protagonisten zu tun, obwohl diese ja angeblich tief in irgendwelche Ränke verstrickt sind. Zu meinem Bedauern entfremdete ich mich auch den Figuren zusehends, da mal Catherine von ihren Erlebnissen berichtet und dann wieder ein übergeordneter Erzähler übernimmt. Ein Dutzend Mal fassen die Protagonisten füreinander die Geschehnisse zusammen und leben monatelang vor sich hin, gefangen in ihrem Alltagstrott und äußerst unbegabt darin, beziehungsweise zu faul dafür, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu pflegen oder die Suche nach dem Plan der Verschwörer fortzuführen.
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir die letzten hundert Seiten, nachdem ich anfangs vom Tiefgang des Romans so positiv überrascht war, zur reinsten Geduldsprobe wurden. Hätte ich sie weggelassen, hätte ich nichts verpasst. Verpasst hat die Autorin allerdings die Chance auf einen überdurchschnittlich guten Historienschmöker, da ihr irgendwann der rote Faden gerissen ist. Schade um die stilistisch teils sehr wertvollen Sätze.