Inhalt
Im Zweiten Weltkrieg kämpfen nicht nur Soldaten gegeneinander, sondern Dutzende von Mathematikern und
Wissenschaftlern, die im ständigen Wettstreit um einen Vorsprung bei der Kodierung von Nachrichten liegen. Kaum
haben sie einen Code geknackt, müssen sich Lawrence Pritchard Waterhouse und seine Kollegen bei der Einheit
2072 erneut an die Arbeit machen. Corporal Bobby Shaftoe, ein Marine, ist in derselben geheimen Truppe, weiß
aber nicht genau warum. Seine Enkelin Amy verdient Jahre später ihre Brötchen mit Schiffstouren und Tauchen
auf den Philipinen und trifft dabei zufällig auf Randy Waterhouse, den Enkel des Codebrechers. Randy will mit
seinem Freund Avi eine Basis für die Internetkommunikation aufbauen...
Rezension
Gar nicht so einfach, den Inhalt dieses Buches wiederzugeben, da man sich auf verschiedenen Zeitebenen bewegt, also in den 40er Jahren und den 90ern. Natürlich ist es ein außerordentlicher Zufall, dass sich die Enkel der
Protagonisten aus dem Weltkrieg in der Gegenwart über den Weg laufen, doch Stephenson versteht sich auf das
Spiel mit den Zeiten. Er benutzt eine sehr bildhafte Sprache, die mitreißend wirkt, obwohl er für meinen Geschmack
viel zu viele Nichtigkeiten breit tritt. Manche Passagen habe ich daher nur überflogen, bis ich wieder zu den teils
klugen und auch schreiend komischen Dialogen kam. Man möge mich bitte nicht falsch verstehen, ich habe mich
nicht ständig kaputtgelacht, da leider sehr oft fade Gespräche geführt werden, doch wenn Stephenson mal abdreht, dann richtig. Darum las ich auch weiter, um wieder eine der guten Stellen zu finden, derer es zu meinem
Bedauern zu wenig gibt. Nach 198 Seiten war denn auch Schluss für mich, da ich einfach nicht mehr Geduld
aufbringen konnte, viel Leerlauf zu ertragen, bis ich wieder in das Buch eintauchen konnte.
Was Chiffrierung und Entschlüsselung angeht, waren es mir viel zu wenig Stellen, an denen Stephenson das
Thema überhaupt anspricht. Sicher, das ist kein Sachbuch, dafür gibt es etwa Simon Singhs "Geheime Botschaften", doch hatte ich mich auf spannende 'Codebrecherkämpfe' gefreut und war daher enttäuscht, mit so
wenig davon abgespeist zu werden.
Was die Hauptfiguren angeht, so ist mein eindeutiger Favorit Corporal Shaftoe, der mir mit seiner rauhbeinigen Art
sogleich zum Kumpel wurde. Richtiggehend fad fand ich die Leute der Gegenwart und auch deren Erlebnisse
waren bis Seite 198 uninteressant. Generell passiert so wenig, was ja egal wäre, wenn eine Charakterentwicklung stattfände oder über aktuelle Themen diskutiert würde. Internet und email-Korrespondenz sind heutzutage
aber Allgemeingut und es entlockt einem nur ein müdes Lächeln, wenn man liest, wie toll es doch ist, dass Randy
und Avi sich mit nur minimaler Verzögerung erreichen können. Außerdem fragte ich mich, warum Avi für die Darstellung von "JPEGs" sein ominöses "BeOS" benötigt, ein Betriebssystem fürs Hacken und "screwing around with
media". Ferner möchte ich erwähnen, jpegs konnte man auch 1998 in Windows bearbeiten, als das Buch geschrieben wurde. Ich bin mir nicht sicher: Schreibt hier ein Laie über Dinge, die er nur recherchiert hat, aber nicht selbst kennt?
Abschließend möchte ich anmerken, dass dieses Buch seine tollen Momente hat, die entweder faszinierend waren
(gerade die Sache mit dem Kodieren und der witzigen Idee mit der Häufigkeitsverteilung von Köpergrößen bei 2072)
oder so echt wirkten, als würde man sie miterleben. Leider finde ich Stephenson zu selbstverliebt - er 'hört' sich
wohl gerne selbst reden. Dabei kommt er vom Hundertsten ins Tausendste und vergisst dabei einige Male den
Leser, der gerne mitgenommen werden möchte - aber nicht in langweilige Passagen, wie sie hier allzu oft vorkommen. Stephenson hat, wie ich finde, das Talent, ein gutes Buch zu schreiben, doch hätte er hier den Rotstift
ansetzen sollen, da sehr vieles erwähnt wird, das einen weder etwas lehrt, noch den Figuren näherbringt. Kein
Wunder, dass sich bei Cryptonomicon die Leserschaft spaltet in Genervte und solche, die dies bereits als Kult
feiern. Bevor ich jetzt behaupte, Kult sei immer schwer zugänglich oder seltsam - Cryptonomicon ist sehr einfach
zu lesen. Andere Autoren benutzen jedoch minutiöse Beschreibungen dazu, Stimmungen zu erzeugen und den
Leser in ihre Welt zu entführen, staunend angesichts all des Reichtums an Bildern, den sie dort antreffen. Bei
Stephenson allerdings berührte es mich vieles überhaupt nicht, es war nur leeres Gerede. Von mir also weder
eine eindeutige Warnung vor diesem Buch, noch Empfehlung - das muss jeder für sich entscheiden. Natürlich gilt
das letztendlich für jedes Buch, doch oft kann man Vergleiche ziehen mit anderen Werken oder der Bewertung,
die ein Kritiker Romanen gibt, die man selbst gelesen hat. Cryptonomicon ist wirklich etwas besonders - ob im
positiven oder negativen Sinne - oder beides?