Autor

Tolkien, Simon

Titel

Gestohlenes Leben

Originaltitel

Final Witness

Genre

Justizkrimi

Seiten

429

Erscheinungsjahr

2002

Auszeichnungen

Verfilmungen

Verlag

Bastei Lübbe

Wertung

Inhalt

Hat Greta Grahame die erste Ehefrau des Verteidigungsministers, Lady Anne, umbringen lassen? Das jedenfalls behauptet der Sohn der Verstorbenen, der eifersüchtig ist auf die neue Gattin seines Vaters, zu dem er selbst kaum noch Kontakt hat. Thomas ist erst vierzehn, musste den Mord an seiner Mutter mit ansehen und kann daher nicht als objektiver Zeuge gelten. Aber einer muss lügen...

Rezension

Unglaublich, aber wahr: Bis zum sehr guten Finale wusste ich nicht, wem ich wirklich Glauben schenken darf. Greta, die sich für ihre Herkunft schämt und um jeden Preis gesellschaftlich aufsteigen will? Oder Thomas, der eine höchst ungesund enge Beziehung zu seiner Mutter pflegte? Tolkien wechselt zwischen diesen beiden "Verdächtigen" hin und her, zeigt ihre Gedanken und Gefühle auf und macht es einem so schwer, einen von ihnen zu verdammen. Obwohl ich keinen der Protagonisten mochte, so konnte ich sie dennoch nicht wegen dem verurteilen, was sie sich wünschen. Sie scheinen einfach zutiefst menschliche Bedürfnisse zu haben, die vielleicht in einem übersteigerten Maße bei ihnen auftreten, aber trotzdem verständlich sind. Allerdings muss der Autor etwas zurückbehalten haben, so nah er sich den Figuren bewegt, sonst hätte man als Leser den Mörder rasch identifiziert.
Eine richtige Familientragödie entfaltet sich, welche äußerst gespannt macht auf die Gerichtsverhandlung und die Enthüllungen, die wohl dort auf einen warten. Abwechselnd streift man also durch die Vergangenheit und den gegenwärtigen Prozess, durch Zweifel und Gewissheiten. Einzig das Opfer bleibt sehr blass, welches doch eigentlich den Kern des Ganzen bilden sollte. Ich fand, Lady Anne wurde von Tolkien außen vor gelassen, so dass es mir schon fast egal war, dass sie überhaupt getötet wurde. Was hat sie denn anderes gemacht, als die symbiotische Beziehung zu ihrem Sohn, ihre Rosen und die immer wiederkehrende Migräne zu pflegen? Ist es denn überhaupt schade um sie? Bei solchen Gedanken ertappte ich mich immer wieder, so dass ich mir ins Gedächtnis rufen musste, es handele sich hier schließlich um ein Kapitalverbrechen. Ich finde wirklich, Tolkien hätte auch das Opfer mit mehr Leben ausstatten sollen, da man mit allen - Thomas und Greta also - Mitleid hat, aber nicht mit Lady Anne, der Leidtragenden.
Der andere negative Punkt ist meiner Meinung nach das Fehlen jeglicher sympathischer Figuren, die bei all diesen verkorksten Persönlichkeiten Sonne in die düstere Seelenlandschaft gebracht hätte. Dennoch hat es zugegeben einen ungalublichen Reiz, dieses verwickelte Emotionslabyrinth zu durchstreifen und den wunderbar versierten Schlagabtauschen vor Gericht zu lauschen. Oder gibt es wirklich jemanden, der vor dem Finale wusste, wer der Lügner war und wer der tatsächliche Täter?