Inhalt
Ruth Gilmartin ist Englischlehrerin für Erwachsene in Oxford und verdient mit den Privatstunden nicht schlecht, so dass sie ihren Sohn Jochen gut allein versorgen kann.
Ihre einzige Verwandte ist ihre Mutter Sally, die mit einemmal mit einer unglaublichen Enthüllung aufwartet. In Wirklichkeit hieße sie Eva Delektorskaja, käme aus Russland
und sei im Zweiten Weltkrieg als britische Spionin angeheuert worden...
Rezension
Dies wird in der dritten Person in Rückblenden erzählt, jeweils abwechselnd mit der Gegenwart der Ich-Erzählerin Ruth. Häppchenweise bekommt man demnach die
Informationen über die damaligen Geschehnisse vorgesetzt, während Ruth versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Nichts ist mehr so, wie es vorher
war und an diesem Brocken hat Sallys/Evas Tochter mächtig zu schlucken. Leider taucht Boyd nicht allzu tief in diese Materie ein – wie es wohl sein mag, wenn
das ganze bisherige Vergangenheitskonstrukt zu Fall gebracht wird – die Figuren bleiben für meinen Geschmack viel zu unterkühlt. Weder die Spionin noch deren
Tochter fühlte ich mich in irgendeiner Weise verbunden, obwohl die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg durchaus nicht der Spannung entbehren. Im Vergleich dazu ist
die Gegenwart sehr dröge inszeniert. Weder Ruth noch Sally/Eva haben nennenswerte soziale Kontakte; jedweden Versuch, Beziehungen mit ihnen aufzubauen blocken sie ab.
Nicht zuletzt durch diese Distanziertheit fehlte mir ein Gefühl für die Protagonisten.
Vergleiche mit James Bond, wie sie auf dem Einband zitiert werden, finde ich abwegig, vor allem durch den Mangel an Action. Viel eher könnte man „Ruhelos“ mit
alten Schwarzweißfilmen wie „Der Malteser Falke“ oder „Der dritte Mann“ gleichsetzen. Der Augenmerk liegt auf den Charakteren, obwohl in den Filmen und dem
vorliegenden Roman nicht nah genug herangegangen wird. Das ist schade, denn von Boyd ist man Besseres gewohnt. Trotzdem ist „Ruhelos“ lesenswert, da man durch
die Gestaltung – der stete Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit – dazu gebracht wird, die leider vorhandenen Durststrecken (v.a. in der Gegenwart) „durchzustehen“,
um Näheres über die Spionageaffären zu erfahren. Außerdem schreibt Boyd gewohnt souverän, ist also flüssig zu lesen, aber weder simpel noch allzu komplex. (November 2008)