Inhalt
Bruno und Michel sind Halbbrüder, lernen sich aber erst als Jugendliche kennen. Ihre gemeinsame Mutter kümmert
sich nicht um die beiden und so wächst Michel bei der Großmutter väterlicherseits auf, Bruno landet in einem Internat. Jahre später, die Brüder haben die vierzig überschritten, ziehen sie Bilanz. Michel, ein erfolgreicher Forscher
in Molekularbiologie, nimmt eine Auszeit und tut wochenlang nichts außer zu essen und im Bett zu liegen. Bruno,
Lehrer in einem Gymnasium, steigt seinen Schülerinnen nach und trauert um die verlorengegangene, einst enge
Beziehung zu seinem Sohn, den er um seine Jugend beneidet...
Rezension
Mein Interesse war sofort geweckt, als Houellebecq dazu anhob, die tragische Fehlentwicklung des Lebens seiner
Protagonisten aufzurollen. In Rückblenden erzählen Michel und Bruno sich gegenseitig oder einer Freundin von all
den Erlebnissen, die sie damals hatten, all den Demütigungen, die Bruno im Internat erleiden musste und wie Michel
Annabelle, wohl die Liebe seines Lebens, verprellte. Da muss ich gleich anmerken, dass Annabelle die einzige
Person in diesem Buch war, die ich mochte. Bruno hat nichts anderes zu tun, als in allen möglichen und unmöglichen Situationen - im Bus, hinter dem Lehrerpult - zu onanieren. Michel dagegen kommt ungefähr so herzlich herüber wie ein Tiefseefisch. Zweifellos sind die Exkurse in die Philosophie, Molekularbiologie und Soziologie faszinierend, aber der Autor übertreibt es für meinen Geschmack zuweilen. Da wird über Themen debattiert, deren
Zusammenhang mit der Handlung nicht ganz klar wird. Salopp gesagt macht Houellebecq einen auf gelehrt und
kümmert sich nicht darum, dass seine Figuren bei all dem intellektuellen Hutziehen vor sich selbst bloße Schablonen bleiben, deren weiteres Schicksal mir gelinde gesagt herzlich egal war. Über den perversen, pädophilen, gewissenlosen Bruno, der statt einer weiteren schnellen Nummer eher einen guten Therapeuten bräuchte - er hat
leider den falschen erwischt - will ich gar nichts weiter sagen. Michel hätte mir noch ans Herz wachsen können,
wenn der Autor sich die Mühe gemacht hätte, ihn mir vorzustellen. In meinen Augen blieb er die abstrakte Figur
des der Welt entrückten Genies, während man Bruno bei all seinen erotischen Abenteuern begleiten muss. Houellebecq muss eine diebische Freude daran gehabt haben, Bruno alle paar Seiten onanieren zu lassen oder ihm sehr
explizite Fantasien anzudichten. Ich für meinen Teil hätte es besser gefunden, hätte der Lehrer mal sein Teil stecken
lassen.
Hingegen wurde die Thematik der männlichen Mid-Life-Crisis selten so greifbar, die Hoffnungslosigkeit und der
Verlust der Ideale so nachfühlbar dargestellt. Man sollte dieses Buch also lieber nicht lesen, wenn man bereits zur
Schwermut neigt, da selbst die sexuelle Befreiung der 60er und 70er Jahre als hohl entlarvt wird, als eine Revolution,
die mehr Probleme als Positives gebracht hat. Die scheinbare Unverkrampftheit entpuppt sich als Rangeln um einen
Sexualpartner, der sich nach Meinung des Autors sowieso bald einer oder einem Jüngeren zuwenden wird. Ab 40
kann man sich also quasi begraben lassen, meinte ich herauszuhören. Mein Bedauern mit den Protagonisten hielt
sich allerdings in Grenzen, da solch ein unsympathischer Charakter die Hauptrolle spielt. Den Rest gegeben hat
mir allerdings erst die Beschreibung eines Snuff-Films auf Seite 233. Wer nicht weiß, was das ist, stelle sich vor,
ein Mensch würde zu Tode gefoltert und diese grausame Tat auf Video gebannt. Legt es der Autor darauf an,
zartere Seelen mit seinen schockierenden Texten abzuschrecken? Dann gratuliere ich ihm, er hat es geschafft.