Inhalt
Der Junge Jegor weiß nicht, wie ihm geschieht, als er von einer betörenden Musik gerufen zu werden scheint.
Es dunkelt bereits in den Straßen von Moskau und niemand beachtet ihn, als er der schönen Frau und ihrem
Begleiter entgegentritt. Eine Stimme lockt ihn näher, spitze weiße Zähne werden entblößt und Jegors Schicksal
wäre besiegelt, wenn Anton nicht aufgetaucht wäre. Ein Wächter der Nacht, welche die Dunklen im Zaum
halten...
Rezension
Wie gibt man den Inhalt eines Buches wieder, das eigentlich aus dreien besteht? Ohne dabei so viel zu verraten,
wie es der Heyne-Verlag auf dem Einband tut und damit den Überraschungseffekt deutlich dämpft? Soweit kann
ich wohl gehen, zu sagen, dass es hier nicht den einen großen Bösen gibt, der bekämpft werden will. Stattdessen werden die meisten Gefechte im Inneren der Protagonisten ausgefochten. Man könnte Lukianenko
vorwerfen, er würde immer und immer wieder auf denselben Problemen herumreiten, mit dem die Wächter sich
plagen, doch immerhin stellt er diese Fragen nach der Moral. In den meisten Fantasyromanen wird die Richtigkeit
des eigenen Handelns niemals bezweifelt. Hier allerdings ist die Titelfigur Anton derart zerrissen, dass es einem
nach der dritten Wiederholung zu ermüden beginnt. Und zwar deshalb, weil es keine Entwicklung gibt, die zeigen
würde, dass Anton etwas dazugelernt hätte und nicht nur eine starre Schablone aus der Fantasie des Autors
darstellt.
Die Charaktere um den Protagonisten herum bleiben ebenfalls äußerst schemenhaft, selbst nach jahrelanger
Zusammenarbeit wissen die Wächter praktisch nichts voneinander. Dennoch entwickelte ich ihnen gegenüber
Sympathie, ebenso für ihre Gegenspieler, die Dunklen. Letztere verloren dadurch leider einiges von ihrem
Schrecken und die Grenzen zwischen den beiden Parteien verwischten für meinen Geschmack allzusehr.
Irgendwie wartete ich nämlich auf den großen Knall, den Ausbruch des Krieges, der durch keine Diplomatie
der Welt mehr aufzuhalten gewesen wäre. Dann wird aber doch wieder nur taktiert, in allen drei Teilen des
Buches, gleichmäßig wie ein Uhrwerk, immer weniger glaubhaft. A propos, ich frage mich, ob irgendein Leser
die "Liebe" zwischen Sweta und Anton nachvollziehbar fand - gespürt habe zumindest ich davon rein gar
nichts.
Nun mag der Eindruck entstanden sein, ich hätte an "Wächter der Nacht" kein gutes Haar gelassen. Ich habe
mich jedoch prächtig damit amüsiert und den Roman an einem Wochenende verschlungen und es genossen,
weitab ausgetretener Pfade zu wandeln. Die Geschichte spielt in unserer Welt, vermischt Schwarz und Weiß
zu einem dumpfen Grau und wirkt dadurch sehr vertraut mit all den Hexen, Vampiren und Zauberern, die
inmitten der normalen Menschen ihren Kampf ausfechten. Dann gibt es noch das Zwielicht, Flüche, Verträge,
Lizenzen und andere Konstellationen, welche das Leben in der Welt Lukianenkos seltsamerweise glaubwürdig
erscheinen lassen. Weniger gut finde ich hingegen, dass die Figuren alle paar Seiten neue Kräfte, andere Arten
der Magie aus dem Ärmel schütteln und damit bald unbezwingbar erscheinen. Es gefiel mir besser, als man sie
noch als Menschen ansehen konnte, nur eben begabt mit besonderen Fähigkeiten. Im Laufe des Buches wird
jedoch deutlich, wie sehr sie sich von der Gesellschaft abschotten, für die sie eigentlich einstehen, zumindest
was die Wächter der Nacht betrifft.
Eine allzu konstruiert wirkende Handlung, die sich außerdem in jedem drei Teile quasi wiederholt und somit
vorhersehbar wird, sind die größten Schwachstellen von "Wächter der Nacht". Der Ich-Erzähler Anton, der
sich mit einem Erzähler in der dritten Person abwechselt, durchschaut diese Finten alsbald durch angestrengtes
Nachdenken. Bleibt die Frage, ob "Wächter des Tages", der nächste Band in der Tetralogie, nach demselben
Schema aufgebaut ist und man ihn sich somit schenken könnte. Ich denke, ich versuch's, denn rasant war die
vorliegende Lektüre allemal, von einigen Längen, wie die Beschreibung von Trinkgelagen, einmal abgesehen.