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Wer wollte nicht einmal gerne erfahren, wie es in einer türkischen Sippe so zugeht? Die Journalistin Akyün gewährt
dem Leser diesen Einblick und beschreibt die Schwierigkeit, eine Feier in der Familie zu überleben, ohne von
all dem Essen schier zu platzen und wie der Urlaub in der fernen Heimat sich gestaltet. Da wird die sechsköpfige
Mannschaft in den Mercedes gequetscht und von den Duisburger Schloten innerlich Abschied genommen...
Rezension
Akyün schreibt wirklich nett und merklich angetan von ihrer türkischen Familie, die es ihr zuweilen sehr schwer
macht, da die zweitälteste Tochter gar nicht nach ihren Vorstellungen geraten ist. Mit Mitte 30 noch immer unverheiratet,
allein lebend, berufstätig und durchaus nicht sittlich gekleidet - zumindest, wenn sie wieder in Berlin ist.
Daheim legt sie zwar auch kein Kopftuch an, dafür aber lange Röcke und züchtige Kleidung. Sie schreibt, das
störe sie nicht, ihre Eltern jedoch nähmen Anstoß an provozierender Garderobe. Also passt sie sich zuhause an,
betont einige Zeilen später aber, wie tolerant die meisten türkischen Familien seien. Keine Spur von Zwangsverheiratung,
Ehrenmorden oder Unterdrückung der Frauen. Auch das Tragen eines Kopftuchs ist für Akyün eher
ein Zeichen der Wahrung alter Traditionen und aus ihrer Sicht gibt es in ihrer Verwandtschaft niemanden, der zu
irgendetwas gezwungen wird. Sie hat Glück, solch eine offene Sippe zu haben.
Wünschte ich mir anfangs, ich besäße auch solche Verwandte, in der sich jeder um den anderen kümmert,
vielleicht etwas zu oft einmischt, in der ständig die leckersten Sachen gekocht werden und alles heile Welt erscheint,
so drängte sich mir nach einer Weile der Eindruck auf, Akyün verkläre alles, was türkisch ist. Themen wie
die bereits erwähnte Zwangsheirat klammert sie zwar nicht aus, bagatellisiert sie allerdings und die Deutschen
betrachtet sie eher mitleidig. Letztere seien Trampel in Flirt- und Beziehungsfragen, die Frauen, so mein Eindruck,
hätten gerade so viel Erotik wie sie im kleinen Finger. Da gingen mit der Autorin wohl die Pferde durch, obwohl sie
mir bis zu diesem Punkt ungemein sympathisch war mit ihrer Frische, der lebendigen Art und Weise, wie sie ihre
Familie schildert und den ironischen Kommentaren sowohl über sich, als auch die anderen. Bescheidenheit ist
nicht ihr Ding. Sie beschreibt sich als hocherotisch, selbstbewusst und erfolgreich, also perfekt bis auf ihr anatolisches
Becken. Warum findet sie dann trotz all ihrer Vorzüge keinen Mann? Vor allem: Warum zum Geier will sie
einen "Hans"? Nur weil er groß und blond sein soll? Das wird nie ganz klar, da sie ständig die positiven Eigenschaften
der türkischen Männer (und Frauen) preist. Vielleicht ist sie zu zickig, da sie ihre Verabredung sausen
lässt, weil sie so unvernünftig ist, leicht bekleidet aus dem Haus zu gehen, nachdem sie den Mann bereits 20
Minuten hat warten lassen und ihn dann beschimpft, dass er in Daunenjacke im Auto sitzt? Oder weil sie von einem
ihrer Freunde verlangt, sich beschneiden zu lassen, da er sonst niemals die Einwilligung ihres Vaters erhalten
hätte? Anstatt den Fehler auch mal bei sich zu suchen, macht die Autorin lieber die anderen nieder, wie ich finde.
Schade, denn bis dahin hat mir das Buch gut gefallen. (Januar 2008)