Autor | Miéville, China (*1972) |
Titel | I: Die Narbe II: Leviathan |
Originaltitel | The Scar |
Genre | Science Fiction / Fantasy |
Seiten | 578 |
Erscheinungsjahr | 2002 |
Auszeichnungen | British Fantasy Award (2002) Kurd-Lasswitz_Preis (2005) Locus Award (2003) |
Verfilmungen | |
Verlag | Del Rey Books (Teil v. Random House) |
Wertung | |
Inhalt
Die Terpsichoria hat nicht nur Passagiere an Bord, die sich in der neuen Kolonie von New Crobuzon niederlassen wollen, sondern auch Dutzende von Gefangenen unter Deck zusammengepfercht. Letztere sind die einzigen, die sich darüber freuen, dass das Schiff von Piraten aufgebracht wird, hätte sie doch ein hartes Leben als Sklaven erwartet. Nun aber sind Remade wie Tanner Sack frei, wie sie es nur sein können auf der schwimmenden Stadt namens Armada, die aus hunderten zusammengebundener und mit Häusern bebauter Schiffe besteht. Bellis Coldwine jedoch und Silas Fennec, die ebenfalls Passagiere auf der Terpsichoria waren, versuchen alles, um wieder nach Hause zu gelangen...
Rezension
Gar nicht so einfach, ein solch überbordenden Roman wie "The Scar", ein solches Wunderwerk an Fantasie von derart erstaunlicher Komplexität in ein paar Sätze zu pressen. Ähnlich wie bei C.J. Cherryh gibt es nämlich lange Zeit scheinbar kein Ziel, auf das der Roman hinarbeitet. Seien wir mal ehrlich, bei den meisten Fantasybüchern weiß man bereits nach wenigen Seiten, wie sich die Geschichte weiterentwickelt wird, wo das Böse verjagt, welcher Obermotz besiegt werden soll und wird. Bei Miéville fängt man an zu lesen und weiß gar nichts. Und das ist im Englischen anfangs ganz wörtlich gemeint, da man den Eindruck hat, die ersten vier Seiten seien einem Shakespeare'schen Werk entnommen. Ich zumindest tat mich etwas schwer, in die komplexe Sprache hineinzufinden, doch es wird besser, nicht leicht, aber leichter, bis man nach ein paar Seiten nicht genug davon bekommen kann. Miéville führt einem vor Augen, wie reich die englische Sprache sein kann, wieviele Synonyme es für jedes Substantiv, Verb oder Adjektiv gibt und mi welcher Virtuosität man diesen Schatz an Wörtern verwenden kann. Alles, was der Autor beschreibt, wird lebendig, brannte sich mir teilweise für immer ins Gedächtnis. Die Erinnerung an gewisse Szenen aus "Perdido Street Station" zum Beispiel sind noch immer so frisch, als hätte ich sie erst gestern gelesen, dabei ist es bereits über ein Jahr her. "Perdido Street Station" spielt übrigens zeitlich vor "The Scar", Geschehnisse daraus werden ein paarmal erwähnt, doch muss man beim Lesen nicht unbedingt die Reihenfolge einhalten. Jedenfalls spielen beide Romane im Bas-Lag, der von Miéville erschaffenen Welt, von der es leider (noch) keine Karte gibt. "Iron Council" zeugt übrigens von Geschehnissen, die 25 Jahre nach den ersten beiden Büchern stattgefunden haben, wobei man damit wieder nach New Crobuzon zurückkehrt.
Gestern abend habe ich "The Scar" bereits beendet und bin trotzdem noch immer gefangen in seinem Zauber, ertappe mich dabei, wie ich überlege, wie es mit "the Lover" wohl geendet hat, ob Bellis wirklich nur benutzt wurde oder was mit Silas geschehen ist. Die Figuren haben alle solche Abgründe in sich, dass man sich zwar schwertut, sie zu mögen, doch kam man nicht umhin, sie für ihre Stärke zu bewundern, für ihre Kälte zu verachten, für ihren Schmerz zu bemitleiden - kurz, man bleibt nicht unberührt. Vielleicht ist man nicht immer einverstanden mit dem, was Bellis und Co. tun, doch dafür verurteilen kann man sie nicht - weil man sie versteht. "Das Böde" existiert in der Welt von Bas-Lag nicht, für alles gibt es eine Motivation, die man ergründen muss und das macht "The Scar", wie auch "Perdido Street Station" zu einem solch einzigartigen Erlebnis. Die Romane fordern einen, nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch was das AUsloten menschlicher Tiefen angeht. Miéville bietet keinen einfachen Ausweg, alle Entscheidungen der Protagonisten ziehen Konsequenzen nach sich, nicht (nur) für sie selbst, sondern hauptsächlich für andere. Das macht es soviel schwerer, den "richtigen" Weg zu wählen. Garantiert richtig ist aber die Entscheidung, sich "The Scar" zu besorgen (nur € 5,70 von Del Rex Books, allerdings verwischt die Druckerschwärze, wenn man mit dem Finger aus Versehen drüberwischt). Wer bereit ist, sich auf die Romane Miéville einzulassen, wird reichlich dafür belohnt, nicht mit seichter Unterhaltung, aber mit einer unvergesslichen Reise in eine düstere Welt, in der die Gefahren nicht nur Außerhalb lauern, sondern im Inneren.
Schon gewusst?
"The Scar" ist für den deutschen Markt in zwei Bände geteilt worden: "Die Narbe" und "Leviathan".