Autor

Mistry, Rohinton

Titel

Das Gleichgewicht der Welt

Originaltitel

A Fine Balance

Genre

Drama

Seiten

863

Erscheinungsjahr

1995

Auszeichnungen

Verfilmungen

Verlag

Krüger (Teil v. Fischer)

Wertung

Inhalt

Im Jahre 1975 treffen in Bombay vier Menschen aufeinander, deren Leben miteinander verflochten werden, um am Ende wieder auseinander zu gehen. Dina Dalal, eine recht junge Witwe, stellt zwei Schneider ein, um Kleider für eine Exportgesellschaft zu nähen. Zuerst beherrscht Misstrauen die Beziehung zu Ishvar Darji und dessen Neffen Omprakash, doch gebeutelt von Schicksalsschlägen raufen die drei sich zusammen. Mit von der Partie ist Maneck Kolah, der Sohn von Dinas ehemaliger Schulfreundin, der bei der Witwe ein Zimmer gemietet hat und Kühltechnik studiert. Ihr gemeinsames Leben ist sowohl von Freud als auch von Leid geprägt...

Rezension

Und genau davon leitet sich der Titel dieses episch angelegten Romans ab, da die Menschen ein Gleichgewicht finden müssen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, um überhaupt in der Welt bestehen zu können (der Originaltitel ist schon passender). So hat die gut erzählte Geschichte sowohl fröhliche, als auch tieftraurige Augenblicke, ist Komödie und Tragödie zugleich. Mistry berichtet von der grausamen Sitte der Kastentrennung, deren Überschreitung trotz gesetzlichen Verbotes drakonische Strafen nach sich zieht und immer noch fest in den Köpfen der Leute verankert ist. Die Unterdrückung findet ihre Fortsetzung in der Herrschaft Indira Ghandis, die als Ministerpräsidentin den Ausnahmezustand verhängt, um an der Macht zu bleiben, da ihr Wahlbetrug vorgeworfen wird. Slums, die letzte Bleibe der Armen, werden niedergemacht, Bettler auf der Straße aufgegriffen und in harte Arbeitslager gesteckt, Menschen willkürlich vom Markt entführt und zwangssterilisiert. Gerechtigkeit gibt es keine; die Partei gewinnt, die der korrupten Polizei genug Geld bieten kann, der einzelne ist völlig hilflos den Einflussreichen ausgeliefert. In ohnmächtiger Wut habe ich das Schicksal der vier Menschen und ihrer Freunde verfolgt, vermischt mit einer teils lähmenden Trauer. Bewundernswert, wie sie dennoch die Balance wiederfinden und Hoffnung schöpfen können angesichts all dieser Ungerechtigkeiten.
Am Anfang des Buches stehen die Sätze: "Diese Tragödie ist nichts Erfundenes. Alles ist wahr." Ich als Europäerin kann mir das gar nicht vorstellen - der Gedanke ist wohl zu schrecklich. Diese Ohnmacht der Menschen, nicht einmal zur Polizei gehen zu können, völlig auf sich allein gestellt, ohne Gewähr, nicht doch von einem aus einer höheren Kaste einfach so getötet zu werden... Ist die Lage in Indien heutzutage wirklich immer noch so schlimm?!
Aber genug zum Inhalt, die Form eines Romans ist mindestens genauso wichtig und sie gefällt mir in diesem Fall sehr gut. Äußerst anschaulich beschrieben, in klaren Worten vermittelt uns Mistry ein lebendiges Bild der elenden Armut, in der viele Menschen leben müssen und trotzdem immer die Kraft finden, weiterzumachen. Die Charaktere sind sehr differenziert dargestellt und man teilt ihre Gefühle beim Lesen auf's innigste und man meint, ihr Handeln verstehen zu können, auch wenn es anderen Schaden zufügt. Man merkt, dass Mistry seine (ehemaligen? Er lebt ja in Kanada) Landsleute sehr mag, da selbst in dem abgebrühtesten Gauner wie dem Bettlermeister so viel gutes steckt - manchmal zuviel, teilweise ein wenig unglaubwürdig. Gestört haben mich bei der Lektüre die öfters auftretenden indischen Begriffe, wodurch mir manche Szenen unverständlich blieben. Ein Glossar wäre wirklich hilfreich gewesen.
Nichtsdestotrotz liegt hiermit ein sehr guter Roman vor, der sowohl die positiven, als auch die Schattenseiten ausleuchtet, dabei aber nur sehr selten rührselig wird. Teilweise vielleicht ein wenig lang geraten, aber echt empfehlenswert.
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